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„Weltspiele der Gelähmten“ in Heidelberg 1972: wegweisend für die paralympische Bewegung

Buch über die Entstehungsgeschichte

Heidelberg war vom 1. bis 10. August 1972 Gastgeber der „XXI. Weltspiele der Gelähmten“, des Vorläufers der modernen Paralympics. Die jüngste vom Stadtarchiv Heidelberg herausgegebene Veröffentlichung widmet sich diesem sportlichen Großereignis vor über 40 Jahren. Zur Buchpräsentation im Olympiastützpunkt Metropolregion Rhein-Neckar am 7. August 2014 trafen sich der Autor Daniel Westermann, Vertreter des Olympiastützpunktes und der Stadt Heidelberg sowie Zeitzeugen und Akteure aus Sport, Wissenschaft, Medizin und Politik.

Die „XXI. Weltspiele der Gelähmten / International Stoke Mandeville Games“ fanden vom 1. bis 10. August 1972 in Heidelberg statt. (Foto: Stadt Heidelberg)
Die „XXI. Weltspiele der Gelähmten / International Stoke Mandeville Games“ fanden vom 1. bis 10. August 1972 in Heidelberg statt.

Anfänge des (Leistungs-)Sports für Menschen mit Behinderung

Das Buch „Die XXI. Weltspiele der Gelähmten in Heidelberg 1972 – Entstehungsgeschichte und Ablauf“ erschien als Heft Nr. 9 in der Schriftenreihe des Stadtarchivs Heidelberg. Es ist die überarbeitete Druckfassung der Diplomarbeit von Daniel Westermann an der Deutschen Sporthochschule Köln. „Mit der Vorstellung des Buches hier im Olympiastützpunkt wird an die Anfänge des (Leistungs-)Sports für Menschen mit Behinderung erinnert sowie seine Rolle im Leben der Betroffenen und seine gesellschaftliche Entwicklung bis heute beleuchtet. Und das exakt 42 Jahre nach den ‚Heidelberger Paralympics‘ an historischer Stelle“, sagte Stadtarchivdirektor und Herausgeber des Buches Dr. Peter Blum bei der Präsentation.

Heidelberg sprang ein

Eigentlich sollten die „Weltspiele der Gelähmten“ 1972 im Anschluss an die Olympischen Sommerspiele in München stattfinden. Aber als Folge der einsetzenden Kommerzialisierung der Spiele war das olympische Dorf bereits einen Tag nach Beendigung der Spiele nicht mehr verfügbar. Eine andere Möglichkeit sah man nicht. So sprang das vergleichsweise kleine Heidelberg in die Bresche und richtete die Spiele für Menschen mit Behinderungen in bis dahin nicht da gewesener Größe und Internationalität aus. Allein die Logistik war eine große Herausforderung: Rund 1.000 Athleten aus 41 Ländern, 400 Betreuer und Begleiter, 220 Wettkampfrichter und etwa 400 Mitwirkende allein in der ärztlichen Notfallversorgung mussten koordiniert werden.
 
Starker Motor war der damalige Oberbürgermeister Reinhold Zundel. Er förderte die Idee der „Weltspiele der Gelähmten“ nach Kräften – im Vertrauen auf die vorhandenen Sportstätten und das medizinische Know-how. „Damit trug er maßgeblich dazu bei, auf dem Feld des Leistungssports für Menschen mit Behinderungen ein progressives und positives Heidelberg-Bild in die Welt zu tragen“, so Bürgermeister Wolfgang Erichson. Heidelberg bot mit den vorhandenen Einrichtungen des damaligen Berufsförderungswerks, der Universität, der Orthopädischen Klinik sowie dem im Aufbau begriffenen Bundesleistungszentrum (dem heutigen Olympiastützpunkt) eine hervorragende Infrastruktur.
Bundespräsident Gustav Heinemann eröffnete am 2. August 1972 vor 5.000 Zuschauern die Spiele im Sportstadion der Universität Heidelberg. In den nächsten acht Tagen kämpften 1.000 Athleten in folgenden Disziplinen um den Sieg: Bogenschießen, Diskuswerfen, Kugelstoßen, Speerwerfen, Speerzielwurf, Rollstuhlslalom, Rollstuhlzeitfahren, Schwimmen, Tischtennis, Fechten, Gewichtheben, Bowls (eine Art Boccia), Snooker (Lochbilliard) und Basketball.

Ein wichtiges Signal für die weltweite paralympische Bewegung

Dass Heidelberg 1972 für München einsprang, war ein wichtiges Signal für die weltweite paralympische Bewegung. So konnten die Wettkämpfe doch noch in zeitlicher und räumlicher Nähe zu den großen Olympischen Sommerspielen stattfinden und so eine entsprechende öffentliche Aufmerksamkeit erreichen.
Das war nicht immer so: Die „Weltspiele der Gelähmten“ fanden seit 1948 zunächst ausschließlich in Stoke Mandeville statt, einer kleinen Stadt nordwestlich von London, bevor sie ab 1960 in Rom im regelmäßigen Olympiaturnus von vier Jahren und zugleich im jeweiligen Austragungsland der Olympischen Spiele durchgeführt wurden. 1964 folgte Tokio. Bereits 1968 gab es eine Unterbrechung, da die Olympiastadt Mexico City für die Durchführung der Behindertenspiele ungeeignet schien und Tel Aviv einsprang. Eine erneute Unterbrechung der zeitlichen und räumlichen Kopplung mit den Olympischen Spielen hätte einen empfindlichen Rückschlag für die gesamte paralympische Bewegung bedeutet.
      
Erst seit den Sommerspielen von Seoul 1988, wo mit über 3.000 Teilnehmern aus über 60 Ländern ein neuer Rekord verbucht wurde, spricht man von den „Paralympics“.

Paralympics

Anfang der vierziger Jahre errichtete Professor Ludwig Guttmann in Stoke Mandeville ein nationales Zentrum zur Behandlung von Querschnittgelähmten. Guttmann, der als Vater der modernen Querschnittgelähmten-Behandlung gilt, erkannte die entscheidende therapeutische Bedeutung einer regelmäßigen sportlichen Betätigung. Daraus entwickelte sich der Leistungssport, der seine organisierte Form in den „Stoke Mandeville Games“ fand. Diese Spiele wurden 1948 zum ersten Mal ausgetragen und fanden bis 1960 jährlich statt. Weitere Informationen: www.paralympic.org.

Olympiastützpunkt Metropolregion Rhein-Neckar

Der Olympiastützpunkt Metropolregion Rhein-Neckar ist einer von 19 Stützpunkten in Deutschland für den Leistungssport. Die Schwerpunktsportarten in Heidelberg sind Basketball, Boxen, Eishockey, Eiskunstlauf, Gewichtheben, Handball, Hockey, Kanu, Leichtathletik, Schwimmen, Volleyball und Paralympics. Über 850 Sportlerinnen und Sportler werden hier zentral beziehungsweise regional betreut. Das Ziel des Olympiastützpunkt Metropolregion Rhein-Neckar ist es, durch innovative wissenschaftliche Begleitung und interdisziplinäre Zusammenarbeit, olympische Spitzenleistungen verantwortungsvoll zu unterstützen und zu ermöglichen.