Heidelberger Straßennamen auf dem Prüfstand

Kommission für Straßenbenennungen legt Bericht vor / Gemeinderat berät ab 25. Mai

In Heidelberg tragen 363 Straßen, Plätze oder Brücken den Namen bekannter oder auch weniger bekannter Persönlichkeiten. Damit werden deren Leistungen geehrt und gewürdigt. Aber ist das in allen Fällen heute noch vertretbar? Um das zu klären, hat der Gemeinderat der Stadt Heidelberg die Verwaltung im Jahr 2016 beauftragt, eine Kommission zur Beurteilung von Straßennamen einzurichten, die auf Persönlichkeiten zurückgehen. Die Kommission untersuchte in den vergangenen Jahren in akribischer Arbeit folgende Frage: Sind in Heidelberg Straßen nach Personen benannt, deren historisches Handeln zumindest teilweise nicht heutigen gesellschaftlichen Grundwerten entspricht? Ein Augenmerk legte die Kommission dabei auf Personen, die die Zeit des Nationalsozialismus („Drittes Reich“) als Erwachsene erlebten und dabei entweder besonderen Aktivismus oder Opportunismus durch Mitgliedschaften in NS-Organisationen und der Verbreitung von NS-Gedankengut gezeigt oder vom NS-Regime oder seinen Begleiterscheinungen besonders profitiert hatten. 

Von den jetzt geprüften Straßen-, Platz- und Brückennamen hat die Kommission nach intensiver Abwägung neun Personen identifiziert, bei denen sie dem Gemeinderat empfiehlt, eine Umbenennung der entsprechenden Straßen in Betracht zu ziehen. Es handelt sich dabei um Straßen, Plätze und Wege, die nach den folgenden Personen benannt sind: Richard Kuhn, Felix Wankel, Marga Faulstich, Rudolph Stratz, Reinhard Hoppe, Karl Kollnig, Ernst Rehm, Friedrich Endemann und Fritz Haber. Bis auf Haber stand bei all diesen Personen ihr Wirken und Handeln in der NS-Zeit im Mittelpunkt der Untersuchungen.

Der Kommissionsbericht wird am 25. Mai 2023 dem Ausschuss für Kultur und Bildung und am 29. Juni dem Gemeinderat vorgelegt. Der Bericht ist eine erste Information für die Gemeinderatsmitglieder, bei welchen Straßennamen über eine Umbenennung nachgedacht werden sollte. Der Bericht dient im ersten Schritt dazu, den Heidelberger Gemeinderat zu informieren und zur Diskussion anzuregen. Nach dieser ersten Vorlage im Gemeinderat wird die Stadt Heidelberg die Anwohnenden in den betroffenen Straßen mit einem Rundschreiben direkt informieren.

Ob es im Zuge des Verfahrens tatsächlich zu einer Umbenennung der betroffenen Straßen und Plätze kommt, ist noch offen. Darüber entscheidet der Gemeinderat. Die Zeitplanung für das nun folgende Verfahren ist ebenfalls noch offen; es besteht kein Zeitdruck für mögliche Umbenennungen.

Hintergrund: Straßennamen im Wandel der Zeit

Straßennamen stellen über Jahrhunderte hinweg ein „kollektives Gedächtnis“ dar. Sie sind
ein Teil der Erinnerungskultur. Die Straßenbenennung spiegelt stets die aktuellen Verhältnisse,
die Weltanschauung und Kultur bis hin zu den Herrschaftsverhältnissen der entsprechenden Zeit
wider. Historische Personen, Orte und Ereignisse werden zu unterschiedlichen Zeiten
verschieden bewertet, im Speziellen unterliegt die Straßenbenennung nach Personen einem
Wandel.

Erläuterungen und Hintergründe zu den Personen

Fritz Haber (1868-1934): Der Chemiker erwarb sich einerseits große Verdienste auf dem Feld der Düngemittelherstellung und Schädlingsbekämpfung und erhielt 1918 den Chemie-Nobelpreis. Er arbeitete aber auch ab 1915 intensiv an der Herstellung von Giftgas für den Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg. Für das preußische Kriegsministerium war er leitend für das „Gaskampfwesen“ verantwortlich und überwachte 1915 persönlich den ersten Giftgaseinsatz bei Ypern (Belgien). 

Friedrich Endemann (1857 – 1936): Der Jurist war Professor und 1917/1918 Prorektor der Universität Heidelberg. Im Ruhestand warb er seit Beginn der 1930er-Jahre öffentlich für den Nationalsozialismus, unterzeichnete Wahlaufrufe für Hitler und setzte sich nachdrücklich für die Gründung der rechtsgerichteten Deutschen Studentenschaft Heidelberg ein.

Richard Kuhn (1900 – 1967): Bereits als Mittzwanziger wurde der „Chemiker von Weltruf“ Professor in Zürich und wechselte 1929 ans Kaiser-Wilhelm-Institut nach Heidelberg. 1938 wurde ihm der Chemie-Nobelpreis zugesprochen, den er – einer Anordnung Hitlers folgend – ablehnte. Nach 1945 ging seine Karriere nahtlos weiter, sein Entnazifizierungsverfahren wurde eingestellt. Erst seit der Jahrtausendwende wurde sein Aktivismus für das Nazi-Regime, seine Rolle bei der Entwicklung chemischer Waffen und seine Regimetreue genauer untersucht. Schwerwiegend ist in diesem Kontext ein nachweislicher Fall von Denunziation: Kuhn leitete 1936 eine Meldung über einen Kollegen am Institut weiter, weil dieser Mitarbeiter „nicht-arischer Abstammung“ beschäftigte.

Margarete (Marga) Faulstich (1915-1998): Die technische Angestellte trat zwar erst 1937 in die NSDAP ein. Bereits seit 1933 war sie jedoch Mitglied im Bund Deutscher Mädel (BDM) und ab Mai 1941 in der NS-Frauenschaft. Im BDM trug sie im hohen Amt der „Ringführerin“ Verantwortung für die Ausrichtung Hunderter Heranwachsender auf die politischen Ziele des Regimes.

Felix Wankel (1902 – 1988): Der vielseitig begabte Erfinder entwickelte den nach ihm benannten Wankelmotor und wurde unter anderem mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Als junger Erwachsener zählte er jedoch zu den frühesten NS-Anhängern in Baden, trat bereits 1922 der NSDAP bei und führte ab 1930 als Gauleiter die Hitler-Jugend in Baden. Im Zuge parteiinterner Machtkämpfe wurde Wankel in den 1930er- und 40er-Jahren zwar mehrmals aus NS-Organisationen ausgeschlossen und war 1933 auch einige Monate inhaftiert. Dies führte aber nie zu einer Abkehr vom Nationalsozialismus. Vielmehr förderte der NS-Staat Wankels technische Arbeiten bis Kriegsende, indem er ihm sein Forschungsinstitut in Lindau finanzierte. 

Reinhard Hoppe (1898 – 1974): Der Lehrer an der Volksschule in Ziegelhausen und Heimathistoriker trat im Dezember 1933 dem NS-Lehrerbund bei und wurde in der Folge Mitglied in weiteren NS-Organisationen, darunter 1937 in der NSDAP, wo er auch Parteiämter übernahm. Sein 1940 erschienenes „Dorfbuch“ weist verschiedene Übernahmen der NS-Ideologie auf.

Karl Kollnig (1910 – 2003): Der Lehrer und Rektor der Pädagogischen Hochschule Heidelberg (1965 – 1971) war während des Nationalsozialismus zeitweise Mitglied von NSDAP sowie SA. Er veröffentlichte mehrere volkskundliche Studien, auch über das Elsass, womit er sich auf einem von der NS-Ideologie beeinflussten Gebiet bewegte und sich dabei teilweise eines eindeutigen NS-Vokabulars bediente.

Rudolph Stratz (1864 - 1936): Der Heidelberger Schriftsteller vertrat bereits seit dem Ersten Weltkrieg extreme nationaldeutsche Positionen – wie die angebliche kulturelle Überlegenheit Deutschlands gegenüber Osteuropa. Bereits 1933 trat Stratz der NSDAP und im August dem Reichsverband deutscher Schriftsteller bei. Seine Werke wie der 1933 erschienene Roman „Volk in Wehr“ enthalten offen antisemitische und antidemokratische Passagen.

Ernst Rehm (1912 – 1983): Rehm war Bankangestellter und trat bereits 1931 und nach mehrjähriger Pause 1937 erneut der NSDAP bei. 1933 wurde er Mitglied der allgemeinen SS für eine unbekannte Dauer. Außerdem war er Mitglied in verschiedenen NS-Organisationen. Seine Nachkriegskarriere festigte er mit offenkundig unzutreffenden Angaben in seinem Spruchkammerverfahren. Nach Kriegsende stieg er zum Bankdirektor auf, engagierte sich im Kirchheimer Vereinsleben und als Kommunalpolitiker.

Ergänzend: Unter www.heidelberg.de/straßennamen wird ein Einstieg in das Thema Straßennamen nach Personen geboten. Unter anderem gibt es dort Antworten auf die wichtigsten Fragen, den vollständigen Kommissionsbericht sowie aktuelle Informationen.