Paula Steingäßers Blick
Wir Menschen und die Klimakatastrophe
von Literaturscout Jay Jähnisch, veröffentlicht in der Rhein-Neckar-Zeitung am 2. Mai 2025
Lächelnd tritt Paula Steingäßer an diesem Abend vor Beginn ihrer Lesung im Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg (DAI) zu uns Heidelberger Literaturscouts auf die Treppe. In einer Stunde wird sie in der Bibliothek auf einer Bühne sitzen und einem gespannten Publikum ihr Buch „Und was ist mit unserer Zukunft? - Aufwachsen in der Klimakrise“ präsentieren. Dabei handelt es sich nicht um irgendeine Geschichte, sondern um ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit der Klimakrise und der teils damit verbunden psychischen Belastung, die sie schon in jungen Jahren erlebt hat.
Es ist ein erschreckendes und schönes Buch. Vollkommen ehrlich und nahbar. Man hat das Gefühl, in Denkprozesse Einblick zu erhalten, die die allermeisten Menschen nur mit ihren engsten Vertrauten teilen. Umso mutiger, dass Paula Steingäßer diese Erfahrungen nicht nur in einem Buch mit der Öffentlichkeit teilt, sondern sich dieser Öffentlichkeit auch noch in Person stellt und bereit ist, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.
Diese Zeit vor der Lesung war ursprünglich dazu bestimmt, dass wir Literaturscouts Steingäßer zu ihrem Buch interviewen. Da die Leiterin des DAI jedoch kurzfristig erkrankt ist, wurde entschieden, dass ich, zusammen mit Ingeborg von Zadow, den Abend moderieren soll und dass wir unser Interview, das hinter den Kulissen stattfinden sollte, kurzerhand auf die Bühne verlegen. Obwohl diese Nachricht recht spontan kam und uns nur eine knappe Stunde Zeit bleibt, um alles mit Paula Steingäßer vorzubereiten, wirkt sie entspannt. Gemeinsam besprechen wir also den Ablauf dieses Abends und im Verlauf des Gesprächs wird uns etwas bewusst: Dieser zuvor abstrakte Mut, ein so persönliches Buch zu verfassen, wird sehr viel greifbarer, nun dass wir die Verfasserin vor uns sitzen haben und einiges noch einmal von ihr selbst, in ihrer Stimme erfahren. Ihre Erzählungen verankern sich in der Realität, können nun mit einem Gesicht verbunden werden.
Diese Erkenntnis verändert auch noch einmal unsere Perspektive auf das Buch, was wohl nicht nur wir so empfinden. Ein ähnliches Feedback kommt am Ende des Abends in der Fragerunde mehrfach aus dem Publikum. Auf der Bühne betont Steingäßer, wie wichtig ihr zwischenmenschlicher Austausch in einer Welt ist, in der sich das Individuum immer stärker isoliert. Ihrer Meinung nach können die Probleme unserer Welt nur gemeinsam angegangen werden. Nur zusammen kommen wir auf neue Ideen und können hoffentlich das Schlimmste, was uns mit dem Klimawandel bevorstehen könnte, verhindern.
Um einen kleinen Einblick in den inspirierenden und bei uns noch lange nachhallenden Abend im DAI zu geben, haben wir hier nochmal einige unserer Fragen an Paula Steingäßer zum Nachlesen zusammengestellt.
Interview der Heidelberger Literaturscouts mit Paula Steingäßer
mit Fragen von Jay Jähnisch und Carolin Durani
Jay Jähnisch/Carolin Durani: Guten Tag Frau Steingäßer. Wir freuen uns sehr, dass wir die Möglichkeit haben, mit Ihnen über Ihr Buch zu sprechen. Was hat Sie dazu bewegt, Ihre persönlichen Erfahrungen mit der Klimakrise in einem Buch zu teilen?
Paula Steingäßer: Die Klimakrise ist eine Krise, die uns in allen Lebensbereichen begegnet und begegnen wird, und gleichzeitig von jedem Menschen unterschiedlich erlebt wird. Ich bin überzeugt davon, dass wir unsere persönlichen Geschichten und Perspektiven teilen müssen, um einen emotionalen Umgang mit dieser Krise finden zu können, der uns nicht vereinzeln und erstarren lässt. Mir haben als junger Mensch diese verschiedenen Geschichten oft gefehlt, und ich habe mich sehr einsam dadurch gefühlt. Das möchte ich heute ändern.
Welche Rolle spielt Literatur für Sie im Umgang mit der Angst und Hilflosigkeit vor der Klimakrise?
Die Literatur und das Lesen ist für mich schon seit meiner Kindheit ein unglaublich wichtiger Raum, um mir selbst und den Facetten unserer Welt zu begegnen. Durch Bücher habe ich das Träumen und Perspektivenwechseln gelernt, mich an andere Orte und in neue Welten versetzt und Mut und Hoffnung empfunden, wenn ich sie in meinem Alltag nicht mehr finden konnte. Und genau diese Eigenschaften – Träumen, neue Welten erschaffen und kennenlernen, mit neuen Emotionen und Geschichten umgehen – brauchen wir gerade im Hinblick auf die Klimakrise sehr dringend.
Wie sehen Sie die Rolle der älteren Generationen in der aktuellen Klimadebatte?
Menschen älterer Generationen haben in unserer Gesellschaft viel Gestaltungsmacht und Einfluss, und tragen demnach eine besondere Verantwortung für die Transformation und den Erhalt unserer Gemeinschaft und ihrer Grundlagen. Dieser Verantwortung dürfen sie sich nicht entziehen, und gleichzeitig finde ich es nicht zielführend, sich zu sehr auf intergenerationelle Schuldfragen zu fokussieren, wie dies medial oftmals geschieht. Ich glaube, dass wir viel wirkungsvoller und stärker auftreten können, wenn wir mehr auf die Zusammenarbeit zwischen den Generationen setzen: Wenn wir die Erfahrung und Fähigkeiten älterer Menschen nutzen, und die Bedürfnisse und Perspektiven jüngerer Menschen genauso mit einbeziehen.
Hat sich das Narrativ verbreitet, der Einzelne müsse sein Leben auf eine Weise umkrempeln, die in unserem System kaum möglich ist, um von den riesigen Auswirkungen weniger Unternehmen auf den Klimawandel abzulenken? Wer trägt letztlich die Verantwortung für den Systemwandel? Das Individuum, dessen Handeln kaum Auswirkungen hat? Die Politik? Die Wirtschaft?
Ja, dieses Narrativ ist fälschlicherweise weit verbreitet und kann in seiner Entstehung ja auch auf die Interessen großer Konzerne zurückgeführt werden. Akteure wie die Wirtschaft, aber auch die Politik mit ihrer Lenkungsfunktion stehen ganz klar in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass wir in einer gerechten und zukunftsfähigen Welt leben können. Dass dieser Verantwortung nach wie vor so selten nachgekommen wird, ist ein Skandal! Und hier kann natürlich jede*r Einzelne*r Wirkung entfalten: Im Lautwerden, im Aufzeigen der Ungerechtigkeiten und Machtasymmetrien, im Entwickeln und Leben neuer Lebenskonzepte. Nur, weil das unsere Probleme nicht allein lösen wird, finde ich es nicht weniger wichtig.
Welche Formen des Aktivismus halten Sie für besonders wirkungsvoll im Kampf gegen die Klimakrise? Oder ist Aktivismus vertane Energie?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir dort am wirkungsvollsten sind, wo unsere Stärken liegen und wo der Bezug zu unserem persönlichen Alltag und unseren Biografien vorhanden ist. Gleichzeitig ist ja auch die Klimakrise in ihren Ursachen und Auswirkungen so vielfältig und komplex, dass wir ihr in ganz vielen unterschiedlichen Bereichen begegnen müssen – also sind wir als Gemeinschaft stärker, je vielfältiger unser Aktivismus ist!
Welche Botschaft möchten Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben, die sich um ihre Zukunft sorgen?
Vertraut auf euch und eure Wahrnehmung, auch wenn sie euch strukturell oft abgesprochen wird! Findet eure Räume und Stimmen und bleibt in Verbindung mit dem, was euch umgibt.
Liebe Frau Steingäßer, haben Sie vielen Dank für das Interview und für den tollen, erkenntnisreichen Abend.
Das Buch:
Paula Steingäßer
Und was ist mit unserer Zukunft? Aufwachsen mit der Klimakrise
Verlag S. Fischer, 2024, 160 Seiten, 20.- €
ISBN 978-3103976403