Stadtarchiv: Eine Spurensuche im Leben des Künstlers Hans Less
28. Sonderveröffentlichung der Schriftenreihe über jüdisches Flüchtlingsschicksal erschienen
Der 16-jährige Hans Less flüchtet im September 1940 aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Shanghai. Wie für 20.000 andere jüdische Flüchtlinge wird die chinesische Stadt für ihn zur vorerst letzten Zuflucht. Mittellos und in einer fremden Umgebung behauptet er sich als Künstler und Werbegrafiker. 1947 zieht er in die USA. Er nennt sich fortan John und macht Karriere in der Werbebranche. Als sein Sohn Steven 1981 in „das Land der Täter“ auswandert und dort eine Familie gründet, belastet das die Vater-Sohn-Beziehung stark. Trotzdem widmet sich Steven Less intensiv dem Vermächtnis seines Vaters und löst später sein Versprechen ein, dessen Flüchtlings- und Überlebensgeschichte der Nachwelt zu erhalten. In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv entstand daraus ein Buch, das ab sofort als 28. Sonderveröffentlichung in der Schriftenreihe des Stadtarchivs erhältlich ist. Bei einer Buchvorstellung im Stadtarchiv präsentieren Autor Steven Less, Herausgeber Peter Blum und Kulturbürgermeisterin Martina Pfister einem interessierten Publikum „Dear Steven – Something to remember me by: John Hans Less (1923-2011) – Eine Spurensuche. Gedenken an meinen Vater und sein Überleben als jüdischer Flüchtling und junger Künstler in Shanghai“.
„Das Stadtarchiv ist die Schatzkammer der Heidelberger Lokalgeschichte. Dort schlummern mehrere Hunderttausend Einzelstücke alter Dokumente, Karten, Urkunden, Fotografien und Printmedien sowie längst auch Tausende Digitalisate. Doch auch der größte Schatz muss erst einmal gehoben werden. Hierfür bedient sich das Stadtarchiv seit vielen Jahren seiner Schriftenreihe. Dazu, die besonderen Glanzstücke aus unserem Schatz der Erinnerung hervorzuholen, trägt das Stadtarchiv seit vielen Jahren mit seiner Schriftenreihe bei. Die nun vorliegende 28. Sonderveröffentlichung behandelt ein Thema, das aktueller nicht sein könnte: Vertreibung, Flucht und das Ankommen in einer fremden Welt“, sagte Kulturbürgermeisterin Martina Pfister.
Kooperation mit der IGH als Initialzündung
Die Geschichte des Buches beginnt mit einem Schulprojekt. Auf Initiative und gemeinsam mit dem Stadtarchiv startet Christian Jäcklin, Lehrer an der Internationalen Gesamtschule Heidelberg (IGH), ein Unterrichtsprojekt. Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten mit einem Zeitzeugeninterview und Forschung im Archiv eine Ausstellung, die sich mit dem Schicksal jüdischer Flüchtlinge und deren Ankommen im Shanghai der 1930er-Jahre befasst. Die Ausstellung wird im Sommer 2017 zunächst in der IGH, danach im Konfuzius Institut sowie in der Universität Heidelberg gezeigt. Durch seine Tochter wird Steven Less, jahrzehntelanger Wahl-Heidelberger und Nachfahre des einstigen Berliner Shanghai-Flüchtlings Hans Less, auf die Ausstellung aufmerksam. Er stellt dem Unterrichtsprojekt den dokumentarischen und künstlerischen Nachlass seines Vaters zur Verfügung und ermöglicht so, das Thema an einem gut nachzuzeichnenden Einzelschicksal zu vertiefen. Aufbauend auf den persönlichen Kontakten des Stadtarchivs zu den Shanghai Municipal Archives als auch zur Leitung des Shanghai Refugees Museum entsteht eine weitere Ausstellung, die im September 2019 in Shanghai gezeigt wird.
Auf Spurensuche in Shanghai
Im Rahmen einer vom Archiv arrangierten kombinierten Ausstellungs- und Studienexkursion besuchen Steven Less und die Schülergruppe auch frühere Aufenthaltsorte von Hans Less und dessen Familie in China. Durch die Mitarbeit an dem historischen Projekt fand Less, der bisher bereits mehrere Kunstausstellungen mit Werken seines Vaters organisiert hatte, schließlich einen Weg, die Lebensgeschichte von Hans Less auch jenseits der Kunst zu erzählen. Das Ergebnis dieser Arbeit ist das nun veröffentlichte Buch.
Dr. Peter Blum, bis August 2025 Leiter des Stadtarchivs, ist Herausgeber des Werkes und hat seinen Abschluss auch im Ruhestand weiter begleitet. Er erklärte bei der Buchvorstellung: „Das vorliegende Buch ist weit mehr als eine historische Betrachtung. Teils autobiographisch versucht Steven Less darin, das Vermächtnis seines Vaters zu erfüllen, dessen Schicksal der Nachwelt zu vermitteln. Ein Schicksal, das die Beziehung der beiden über Jahrzehnte belastet hat – zieht es den Sohn doch nach dem Studium in ‚das Land der Täter‘, wo er zweimal eine Familie gründet – jedes Mal mit einer Deutschen. Die Zusammenführung des Nachlasses, die Ausstellung und schließlich die Spurensuche vor Ort ermöglichen ihm schließlich eine neue Nähe zum Vater.“
Das Buch „Dear Steven – Something to remember me by: John Hans Less (1923-2011) – Eine Spurensuche. Gedenken an meinen Vater und sein Überleben als jüdischer Flüchtling und junger Künstler in Shanghai“ von Steven Less ist erschienen in der Schriftenreihe des Stadtarchivs Heidelberg, Sonderveröffentlichung 28, und herausgegeben von Peter Blum (196 Seiten mit 116 Farb- und Schwarz-Weiß-Abbildungen, Verlag Regionalkultur, 24,80 Euro).

