Diese Frauen haben das Denken verändert

Interview mit Charlotte Kerner

von den Heidelberger Literaturscouts Miruna und Mariann im Rahmen der Lesung am DAI Heidelberg am 30.10.2025

Autorin Charlotte Kerner mit den Heidelberger Literaturscouts Mariann und Miruna sowie DAI-Programmdirektorin Lena Jöhnk (Foto: Sarina Chamatova/DAI).

Lena Jöhnk      Wie war denn eure Leseerfahrung, als ihr das Buch We are Volcanoes von Charlotte Kerner in den letzten Tagen in den Händen hattet?

Mariann            Uns haben sehr unterschiedliche Punkte an diesem Buch gefallen. Ich habe mich vorher sehr wenig mit dieser Wissenschaft befasst, die drei Personen waren neu für mich. Die fiktiven Einblicke haben mich sehr überrascht. Am Anfang habe ich mich sehr verloren gefühlt, aber ich habe mich immer wohler gefühlt, je weiter ich gelesen habe.

Miruna               Mich hat total beeindruckt, dass die drei Persönlichkeiten der Frauen so ähnlich und gleichzeitig so verschieden waren. Und am meisten fasziniert hat mich, dieses keine Angst haben, öffentlich anders zu sein, dieses seine Gedanken und Gefühle und seine Persönlichkeit ohne Angst der Welt zeigen.

Charlotte Kerner          Das freut mich. Deswegen trägt das Buch auch den Titel „We are Volcanoes“. Denn diese Frauen haben wirklich das Denken verändert und dass das bei dir so angekommen ist, freut mich wirklich. Danke.

Miruna               Als Einstieg haben wir uns eine schöne, kleine Frage überlegt: wir haben wahrgenommen, dass die Persönlichkeiten der drei Frauen sehr komplex, aber gleichzeitig auch sehr ähnlich sind. Wie würden Sie die drei Frauen, das Triumfeminat, mit einem Wort beschreiben und warum dieses Wort?

Charlotte Kerner          Dieser Mut zu denken und die Lust am Denken, dieses etwas wissen zu wollen, das eint alle. Begeistert hat mich auch ihre Fähigkeit, sich zu wundern und zu staunen und daraus eine ungeheure Kraft zu schöpfen und damit dann weiterzumachen.

Mariann            Welche der drei Frauen lag Ihnen denn persönlich besonders am Herzen?

Charlotte Kerner          Für mich ist Donna Haraway, weil sie vielleicht auch die modernste ist, die Wichtigste. Ich finde sie sehr spannend. In den letzten Jahren habe ich viel von ihr gelesen, auch den Sammelband Unruhig bleiben. Immer wenn man Donna Haraway liest, stößt sie ein neues Denken an, entwickelt man einen neuen Blick auf sich und die Welt.
Über Rachel Carson hatte ich früher schon gearbeitet, dieses Mal hat mich am meisten die Bedeutung der drei Meeresbücher verblüfft. Diese Trilogie und sie selbst haben im Englischsprachigen Raum bis heute eine unglaubliche Wirkung. Lynn Margulis kannte ich vor dem Projekt kaum, aber sie ist genau das Bindeglied zwischen den beiden anderen Frauen, das gab letztlich den Anstoß, eine Dreier-Biografie zu schreiben.

Miruna               Was finden Sie ist die wichtigste Lektion, die uns diese Frauen erteilen können? Außerhalb von ihrer Wissenschaft und ihren Theorien, sondern mehr von ihrer Lebensweise her?

Charlotte Kerner          Man muss natürlich sagen, sie haben schon zu unterschiedlichen Zeiten gelebt. Aber jede hat versucht ihr Leben und ihre Lieben zu leben. Alle haben ein Stückweit gegen die Konventionen verstoßen, jede in ihrer Zeit. Man merkt daran auch, wie die Freiheitsgerade für uns Frauen gewachsen sind.

Charlotte Kerner war am 30. September 2025 zu Gast am DAI Heidelberg (Foto: Sarina Chamatova/DAI).

Miruna               Was war Ihre Motivation, anzufangen naturwissenschaftliche und auch fiktionale Geschichten zu schreiben?

Charlotte Kerner          Mich hat Volkswirtschaft und Soziologie interessiert, weil ich die Gesellschaft verstehen wollte, ich wollte auch wissen, was man besser machen kann. Und für die Zeit und Gesellschaft, in der wir heute leben, spielen die Naturwissenschaften eine sehr große Rolle.
Für die Beschäftigung mit Naturwissenschaftlerinnen war die Stiftung Jugend forscht der Trigger, wo ich einige Jahre als Pressereferentin gearbeitet habe. Es gab damals keine Role Models, z.B. keine Biografie über Lise Meitner; ich habe mich dann an Jochen Gelberg vom Verlag Beltz & Gelberg gewandt und gesagt, schau mal, die hat mit Otto Hahn die Kernspaltung entdeckt, aber über diese Physikerin gibt es kein Buch. Und er hat geantwortet: schreib es sofort. Das habe ich dann gemacht und gemerkt, ich kann das ganz gut. Es war und bleibt wichtig, die Biografien von Frauen, eben nicht nur his sondern auch her story zu erzählen. Deshalb habe ich nach der Meitner-Biografie weitergemacht.

Mariann            Sie haben diese drei Frauen auch reden lassen, was für mich sehr neu war. Wie geht man als Autorin mit dem Feld zwischen historischer Wahrheit und   literarischer Freiheit um?

Charlotte Kerner          Vielleicht vorweg: ich mag keine historischen Romane. Ich finde immer, das Leben ist so spannend, dass ich nicht daraus auch noch einen Roman machen muss. Ich habe mich in meinem Buch in den „erfundenen Passagen“ sehr beschränkt auf das Werk und geschaut, wo gibt es Berührungspunkte, um die drei ins Gespräch zu bringen. Für entsprechende Stellen habe ich auch die Quellen genannt. Dann aber habe ich sie „lesbar“ gemacht und so eingefügt, auch mit Hilfe meiner eigenen Worte, dass es in den Erzählfluss des Ganzen passt. Ich habe also nicht etwas radikal Neues erfunden, wie das oft in historischen Biografien gemacht wird.
Bei mir ist das so: entweder halte ich mich sehr an die Fakten, gerade in den Biografien - was nicht ausschließt zu versuchen, auch die Psychologie dahinter zu ergründen. Oder ich erfinde etwas komplett Neues, dann wird es ein Roman, bei mir eben Science-Fiction.  Wir haben in Zukunft wissenschaftliche Möglichkeiten etwa bei der KI, mich interessiert dann, wie verändert das die Beziehungen der Menschen untereinander, aber auch unsere Beziehungen zur Welt?  Im vierten Kapitel von „We are Volcanoes“ – klar als Science-Fiction erkenntlich - versuche ich genau das umzusetzen, und zwar mit einem direkten Bezug zu dem Werk der porträtierten Biologinnen.
 
Miruna               Jetzt noch unsere letzten Fragen: Ich wollte noch die Stelle am Anfang vom 2. Kapitel erwähnen, mit dem Film Die roten Schuhe. Das hat mich so beeindruckt, weil ich mich damit identifizieren konnte, was Lynn Margulis in dem Film gefühlt hat. Was kann dieser Moment in Lynn Margulis Leben jungen Menschen von heute beibringen?
 
Charlotte Kerner          In dem Film kann sich eine Frau nicht entschieden zwischen Liebe und Kunst, hier dem Tanzen, und dann bringt sie sich um. Empört schreibt Lynn Margulis dazu, ihr passiere das sicher nicht und wegen einem Mann schon gar nicht, sie wolle alles, Beruf und Liebe. Das war für sie so ein Schlüsselmoment, als sie Fünfzehn war, aber es funktioniert auch noch als eine Message für heute. Deswegen - und weil es so typisch für die Forscherin war - habe ich es an den Anfang des Kapitels gestellt.

Mariann            Welches Thema war Ihnen beim Schreiben besonders wichtig, was wollten Sie den Leserinnen und Lesern rüberbringen?

Charlotte Kerner          Dass es drei Öko-Visionärinnen gibt, die in einer Weise über uns und unsere Beziehung zu unserer Welt reden, über unsere Beziehungen zu menschlichen und nicht-menschlichen Agenten nachdenken, die für unsere Zukunft immer wichtiger wird. Es gibt ganz viele Denkanstöße in dem Buch und die kann jeder für sich entdecken.

Mariann/Miruna          Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Buch:

Charlotte Kerner
We are Volcanoes. Die Öko-Visionärinnen Rachel Carson, Lynn Margulis, Donna Haraway
Westend Verlag 2024
ISBN 978-3864894428

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